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Wie soll bitteschön Spiritualität mit der Bewältigung chronischer Schmerzen in Verbindung stehen?

Hintergrundwissen


Dedeli & Kaptan (2023) definieren Spiritualität als Erfahrungen der Transzendenz, Verbundenheit, Bedeutung und Sinn im Leben (und Tod).

Religion dagegen sei eher ein System aus speziellen Praktiken und Glaubenssätzen, welche eine soziale Gruppe ausführe. Religion stelle sozusagen die konkrete Plattform, in welcher sich Spiritualität in einer bestimmten, formellen Form ausdrücken könne und so unterschiedlich gelebt werde.

Dedeli & Kaptan (2023) unterstützen in Ihren Ausführungen explizit die Erweiterung des biopsychosozialen Modells um die spirituelle Komponente. Sie nennen Studien, in denen Religiosität als Schutzfaktor gegenüber einer depressiven Erkrankung wirkt, vor allem während starker Stressbelastungen. Personen, die über mehr spirituelle Erfahrungen berichteten, gaben auch eine positivere mentale Gesundheit an.

Allerdings warnen die beiden Autoren auch davor, dass es in einigen Fällen durch Glaubenssätze zu negativer Beeinflussung von Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung kommen könne, nämlich wenn die Kontrolle der eigenen Lebens- und Schmerzsituation einzig und allein auf die „höhere Macht“ oder „Gott“ oder Ähnliches abgegeben werde.

Eine positive Bewältigungsstrategie dagegen sei ein kollaboratives (zusammenarbeitendes) Problemlösen mit GOTT und das Suchen spiritueller Unterstützung durch die „höhere Macht“ bzw. die soziale Gemeinschaft.


Zusammenfassung durchgeführter Studien bzw. Untersuchungen


In einer Untersuchung [2] wurden 12 praktizierenden Katholiken und 12 nicht-religiösen Personen zwei verschiedene Bilder von Frauen in einer ähnlichen Körperhaltung gezeigt, einmal von der Jungfrau Maria und das andere Mal von einer unbekannten weiblichen Person. Während des Anschauens der Bilder wurden an den Probanden elektrische Stromschläge appliziert.

Die Gruppe der Katholiken erfuhr weniger Schmerzen, wenn sie sich im Moment des elektrischen Stromschlags gerade das Bild der Jungfrau Maria ansahen, während sich die Schmerzerfahrung der nicht-religiösen Personen bei keinem der gezeigten Bilder veränderte.

Die Gruppe der Katholiken berichtete, dass sie durch das Anschauen des religiösen Inhalts in einen ruhigen, meditativen Zustand gelangten, was die Wissenschaftler mit der Aktivierung des rechten ventrolateralen präfrontalen Kortex‘ in Verbindung brachten. Dieses Areal wurde spezifisch bei den Katholiken aktiviert, allerdings nicht in der Gruppe der nicht-religiösen Menschen.

Die Untersuchungsgruppe erklärte den schmerzstillenden Effekt der Religiosität damit, dass der Glaube den Katholiken dabei half, sich emotional vom Schmerzerleben distanzieren und diesen Schmerz auch neu bewerten zu können.

Das religiöse Bild hatte bei den Katholiken anscheinend eine beruhigende Wirkung, die Ihnen das Gefühl von spiritueller Unterstützung durch Gott gab. Bereits das Vorhandensein bedeutungsvoller Symbole kann also die Schmerzerfahrung beeinflussen.


Wachholtz & Pargament (2005) verteilten 84 Studenten zufällig zu einer von drei Gruppen: 1) Entspannung, 2) ‚säkulare‘ Meditation, 3) ‚spirituelle‘ Meditation

Zwei Wochen lang wurde die jeweilige Technik jeden Tag 20 Minuten lang praktiziert.

Durch Auswertung der Antworten auf Fragebögen fanden die beiden Untersuchenden heraus, dass die Gruppe, welche spirituelle Meditation praktizierte, über signifikant mehr mystische Erfahrungen berichtete und sich Gott näher fühlte. Zusätzlich gaben sie eine stärkere Abnahme der Angst und die Stimmung war positiver. Desweiteren konnten die Probanden, welche die spirituelle Meditation praktiziert hatten, Ihre Hand fast doppelt so lange in einem kalten Wasserbad (2°C) halten, obwohl sie die gleiche subjektive Schmerzintensität angaben.


Eine vergleichende Untersuchung zur Beeinflussung von Migräne durch unterschiedliche Meditationstechniken


Wahholtz & Pargament führten eine ähnliche Studie im Jahre 2008 durch, allerdings mit 83 Personen, die die Kriterien für Migräne erfüllten. Die teilnehmenden Personen hatten also gewissermaßen auch chronische Schmerzen am Kopfbereich, mit weiteren Auswirkungen. Es gab vier Gruppen mit verschiedenen Techniken: Spirituelle Meditation (s. u.) , progressive Muskelrelaxation (Muskeln an- und daraufhin entspannen), internale säkulare Meditation („Ich bin zufrieden/ froh/ gut) und externale säkulare Meditation (bspw. „Sand ist weich“/ „Gras ist grün“).

Migränepatienten neigen zu einem hohen Maß an Depressionen und Angstzuständen, und Migränekopfschmerzen wirken sich sehr negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus. Migräne-Kopfschmerzen sind durch intensive, einseitig pochende Schmerzen gekennzeichnet, die von Übelkeit und Photo- oder Phonophobie (Licht- und Geräuschempfindlichkeit) begleitet werden. Auch zwischen den Kopfschmerzattacken haben Migränepatienten eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit. Sie scheinen eine höhere psychosomatische Empfindlichkeit gegenüber Stress zu haben. Obwohl Migränepatienten nicht mehr täglichen Stress haben, berichten sie über erhöhte Gefühle von Depression und Angst als Reaktion auf diesen Stress. Im Vergleich zu Kontrollpersonen hatten sie größere Schwierigkeiten, sich zu entspannen, und erlebten in Stresssituationen erhöhte Unruhe und Unwohlsein.

Die Gruppe, die für 20 Minuten am Tag einen Monat lang die spirituelle Meditation durchführte, hatte eine stärkere Abnahme der Häufigkeit von Migräne-Attacken, weniger Angst und negative Stimmungslage sowie eine Zunahme an Schmerztoleranz, kopfschmerzbezogener Selbstwirksamkeit, spiritueller Erfahrungen und existenziellem Wohlbefinden.

Worin bestand die ‚spirituelle‘ Meditation? Es ging um eine Fokussierung auf einen der folgenden Phrasen: „Gott ist Friede“, „Gott ist Freude“, „Gott ist gut“, „Gott ist Liebe“ während der Meditationssession. Bei abschweifender Aufmerksamkeit sollte die Phrase noch einmal laut aufgesagt werden, bevor wieder still darauf weiter meditiert werden sollte.

In der Vergangenheit gab es schon Studien, die bspw. bessere Ergebnisse mit religiöser Kontemplation erzielten gegenüber progressiver Muskelrelaxation [3].

Anscheinend kann die explizit spirituelle Komponente noch andere spirituelle Ressourcen in der Person aktivieren und weitere neuronale Schmerzhemmungswege anbahnen.



Literatur


Dedeli O, Kaptan G. Spirituality and Religion in Pain and Pain Management. Health Psychol Res. 2013 Sep 23;1(3):e29. doi: 10.4081/hpr.2013.e29. PMID: 26973914; PMCID: PMC4768565.


Wachholtz, A.B., Pargament, K.I. Is Spirituality a Critical Ingredient of Meditation? Comparing the Effects of Spiritual Meditation, Secular Meditation, and Relaxation on Spiritual, Psychological, Cardiac, and Pain Outcomes. J Behav Med 28, 369–384 (2005). https://doi.org/10.1007/s10865-005-9008-5

Wachholtz AB, Pargament KI. Migraines and meditation: does spirituality matter? J Behav Med. 2008 Aug;31(4):351-66. doi: 10.1007/s10865-008-9159-2. Epub 2008 Jun 13. PMID: 18551362.


[2]: Wiech K, Farias M, Kahane G, Shackel N, Tiede W, Tracey I. An fMRI study measuring analgesia enhanced by religion as a belief system. Pain. 2008 Oct 15;139(2):467-476. doi: 10.1016/j.pain.2008.07.030. Epub 2008 Sep 5. PMID: 18774224.


[3]: Carlson, C. R., Bacaseta, P. E., & Simanton, D. A. (1988). A controlled evaluation of devotional meditation and progressive relaxation. Journal of Psychology and Theology, 16(4), 362–368.

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